Schimpf nicht auf den Spiegel

Eigentlich lebt es sich in der russischen Provinzstadt, irgendwo zwischen Moskau und der Steppe Sibiriens, ganz gut. Vor allem die Honoratioren der Stadt haben sich inmitten verfilzter Strukturen, undurchschaubarer politischer Gefüge und Korruption gemütlich eingerichtet. Doch das Gerücht eines hohen Besuchs aus Moskau lässt sie aufschrecken – ein Revisor kommt! Was die sogenannten Amtsträger der Stadt nicht wissen: Bei dem soeben eingetroffenen „Revisor“ handelt es sich eigentlich um den bankrotten, aber unverschämt dreisten Kleinbeamten Chlestakow …

Auch mehr als 180 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung hat Nikolaj Gogols beißende Satire „Der Revisor“ nichts von seiner zeitlosen gesellschaftlichen Relevanz eingebüßt. Wann immer Opportunismus den Weg der Politik vorgibt, wo immer Korruption und „Freunderlwirtschaft“ wichtiger als die Interessen der Bevölkerung sind, da erweist sich das Stück als humorvolles Zerrbild gesellschaftlicher Missstände: „Schimpf nicht auf den Spiegel, weil er eine Fratze zeigt“ lautet das Sprichwort, das Gogol seinem Stück vorangestellt hat.

Umso überraschender, dass Gogols scharfzüngige Gesellschaftssatire bei seiner Uraufführung im Jahr 1836 ausgerechnet vom russischen Staatsoberhaupt persönlich, dem Zaren, hochgelobt wird – die zeitgenössischen Machthaber verstehen das Stück als Anklage gegen Untreue und mangelnde Loyalität im russischen Provinzbeamtentum. Die allgemeine Begeisterung beschert dem damals erst 27 Jahre alten Gogol einen seiner größten literarischen Erfolge; für Gogol selbst, der ein paar Jahre später mit dem ersten Teil seines als Trilogie geplanten Romans „Die toten Seelen“ Zeitgenossen und Nachwelt auch auf dem Gebiet der Prosa beeindruckt, ist der Erfolg jedoch nur von kurzer Dauer. Seit seiner Schulzeit geplagt von Außenseitertum, durchläuft Gogol schon kurz nach der Premiere des „Revisor“ eine künstlerische wie persönliche Schaffenskrise. Eine schwere psychische Erkrankung treibt Gogol schließlich in die Arme eines dubiosen Priesters und in den religiösen Wahn: In einem Anfall geistiger Umnachtung verbrennt Gogol das einzige Exemplar des fertigen zweiten Teils der „Toten Seelen“. Eine Affekttat, die er schon kurz darauf als großen Fehler erkennt. Vereinsamt und entfremdet von Bekannten und Verwandten, am Ende seiner schriftstellerischen Karriere, stirbt Gogol schließlich im Alter von 42 Jahren an den tödlichen Folgen religiösen Fastens.

Bis heute gilt Nikolaj Gogol als einer der herausragendsten Schriftsteller Russlands. „Der Revisor“ ist auf Theaterbühnen weltweit einer der meistgespielten Klassiker der Theatergeschichte. Der Regisseur und Musiker Sandy Lopičić setzt gemeinsam mit seinem Ensemble aus sieben SchauspielerInnen und vier MusikerInnen die Satire mit viel Musik, Rhythmus, Witz und körperlichem Einsatz in einem überraschenden Bühnenbild um.

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