FREIHEIT
Sophie Haidinger, Bianca Schönberger und Philippe Schennach vom Verein ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit im Interview über Zivilcourage, Rassismus und Diskriminierung damals wie heute.
Was bedeutet Zivilcourage für Sie?
Zivilcourage beginnt mit Wahrnehmung und Verantwortungsgefühl und mündet in zivilcouragiertem Handeln. Dies bedeutet den Mut zu haben, sich für jemanden, dem Unrecht geschieht einzusetzen. Dies kann das Risiko eigener Nachteile beinhalten und unter Umständen den gesellschaftlichen und staatlichen Regeln oder Tendenzen zuwiderlaufen.
Warum ist die Hemmschwelle so hoch sich in der Öffentlichkeit für andere Menschen einzusetzen? Oder ist sie es ihrer Erfahrung nach vielleicht nicht?
Uns sind Beispiele bekannt, in denen Menschen zivilcouragiert gehandelt haben. Einige davon dokumentieren und veröffentlichen wir in unserem Rassismus Report. Die Gründe, ob jemand eingreift oder nicht, sind sehr individuell und hängen von unterschiedlichen Faktoren ab. Hinschauen ist wichtig! Manchmal fehlt es an Aufmerksamkeit, eine Situation, in der ein anderer Mensch Unterstützung benötigt, überhaupt zu bemerken. Auch gibt es unterschiedliche Einschätzungen, wann das eigene Eingreifen notwendig ist – also die Frage, wie schlimm ich eine Situation überhaupt empfinde. Wenn ich mich nicht verantwortlich fühle – z.B. weil es noch viele weitere Zeug*innen eines Vorfalls gibt – werde ich seltener aktiv, als wenn nur ich alleine zu Hilfe kommen kann. Weitere Hemmschwellen sind Angst vor Verletzung oder ein Gefühl der Hilfslosigkeit.
Die gute Nachricht ist aber: Zivilcourage kann man lernen! In Workshops – wie auch ZARA sie anbietet – kann man ganz konkrete Handlungskompetenzen erwerben, eigene Grenzen und Möglichkeiten ausloten sowie körperliche und verbale Selbstbehauptung trainieren. Ausgestatten mit wirkungsvollen Antworten und kreativen Gegenstrategien im Umgang mit diskriminierenden und rassistischen Situationen sowie Äußerungen kann man sich dort zudem viel technisches Knowhow aneignen, z.B. Wissen über Notrufsysteme in Öffis.
„Die weiße Rose“ hat Briefe verteilt um ihre Überzeugungen zu verbreiten. Wie hat sich die politische Debatte mit dem Internet bzw. den sozialen Netzwerken verändert?
Durch den Deckmantel der scheinbaren Anonymität werden politische Debatten im Internet oft mit abwertenden oder sogar hetzerischen Inhalten kombiniert. Dabei sind Falschmeldungen, die über das Netz verbreitet werden, besonders gefährlich. Oft werden sie ohne Überprüfung mit einem Klick übernommen und weitergeleitet. Somit tragen sie maßgeblich zur Konstruktion und Weiterverbreitung von Feindbildern, Stereotypen und rassistischen Sichtweisen bei.
Hetze und offener Rassismus bewegen sich aktuell wieder raus aus den Internetforen und Blasen der sozialen Netzwerke in die Straßen und die Öffentlichkeit. Genauso aber gegenteilige Meinungen. Woher kommt dieser Aufschwung bei Demonstrationen?
Aufgrund des Problems des weitreichenden „underreporting“ haben wir kaum die Möglichkeit, quantitative Schlüsse zu ziehen. Natürlich nehmen wir wahr, dass die momentanen Zeiten on- und offline, aufgrund eines verstärkten Herausbildens und Verfestigens von Gruppen, bewegt sind.
Sind die Formen des Rassismus, der Diskriminierung und der Hetze der NS-Zeit mit der heutigen Zeit vergleichbar?
Das Trennen und Verfestigen von Gruppen ist ein Phänomen, das lange existiert und uns alle betrifft. Wir alle orientieren uns an Denkmustern, Kategorien und „Gruppen“ oder Wertvorstellungen, wie z.B. der Familie, der Arbeit, der Religion, der Partei, des Staats, etc. Wenn wir in der Lage sind, unsere Vorurteile kritisch zu hinterfragen, müssen wir keine Angst davor haben, dass sich die Geschichte wiederholt. Eindeutig ist, dass Social Media Plattformen und das Internet neue Wege sind, um Nachrichten zu transportieren und zu verbreiten und dass das Internet, für viele nach wie vor rechtsfrei zu sein scheint. Auf diese Art kann man natürlich schnell gewisse Einstellungen mit einer großen Menge teilen. Jedoch aber haben wir nicht nichts aus der Vergangenheit gelernt. Was also einen großen Unterschied macht zwischen jetzt und den 1930er Jahren ist, dass wir jetzt auf unsere Geschichte dieser Zeiten zurückblicken und aus ihr lernen können.
Gibt es juristische Grundlagen die Zivilcourage schützen?
Vorerst ist es wichtig zu wissen, dass in Österreich grundsätzlich alles erlaubt ist, was nicht verboten ist. Zeug*innen eines Vorfalls dürfen filmen und Fotos machen oder sich auch dem*der Betroffenen als Vertrauenspersonen anbieten. Für den Fall würden wir empfehlen, die Veröffentlichung von solchen Aufnahmen mit Rechtsexpert*innen vorab zu klären.
Wohin kann man sich wenden wenn man Opfer von Diskriminierung wird?
An die ZARA Beratungsstelle können sich Betroffene oder Zeug*innen von Rassismus wenden. Zusätzlich beraten die juristisch und psychosozial geschulten ZARA Berater*innen auch Betroffene und Zeug*innen von Hass im Netz. Sie informieren über rechtliche Rahmenbedingungen, geben Auskunft und Orientierung über juristische Möglichkeiten und beraten ebenso hinsichtlich alternativer Handlungsmöglichkeiten.
Was würde Sophie Scholl heute tun?
Wir empfehlen jedem*jeder, sich nach der Vorstellung des Stücks seine eigenen tiefgehenden Gedanken darüber zu machen…