Der österreichische Schriftsteller Peter Turrini und Helmut Qualtinger waren als Kollegen und in Freundschaft verbunden. Ein Gespräch über den Künstler und Menschen Helmut Qualtinger.
Helmut Qualtinger war von Anfang an viel mehr als ein Sketchschreiber. Welche Rolle hat Qualtinger in der österreichischen Öffentlichkeit gespielt?
Qualtinger fiel von Anfang an aus jedem erdenklichen Rahmen. Sowohl seine optische Erscheinung, als auch die seltsame Dämonie, die ihm innewohnte, hat die Leute verunsichert. Sie lachten über ihn, aber zunehmend blieb ihnen dieses Lachen im Halse stecken. Je mehr sie merkten, dass hier nicht nur ein lustiger Dicker sein kabarettistisches Unwesen treibt, sondern ein österreichischer Schriftsteller mit seinen zugespitzten Worten die österreichische Seele und ihre Verkommenheit sezierte, desto mehr versuchten sie, ihn zu verharmlosen, als dicken Clown zu sehen, den man nicht ernst nehmen musste. Nach einigen Jahren war er nicht mehr der Qualtinger, sondern der „Quasi“, als wäre er ein Protagonist des Ungenauen gewesen. Das Gegenteil war der Fall, selten hat einer das österreichische Wesen so genau beschrieben.
Welche Bedeutung hatte sein Humor in der Nachkriegszeit? Hat Helmut Qualtinger die jungen Menschen politisiert?
Mich auf jeden Fall. Ich habe ihn das erste Mal mit fünfzehn Jahren in einer Fernsehübertragung in einem Gasthaus gesehen, er spielte den „Herrn Karl“. Die Bauern starrten fassungslos zum Fernseher. Für mich war er von Stund an ein Held.
Welche Aspekte an seinen literarischen Werken sind Ihres Erachtens besonders aktuell?
Für mich steht Helmut Qualtinger in der großen Tradition von Nestroy und Karl Kraus. Wie diese hat auch er das Grundverhältnis zwischen Maske und Gesicht analysiert. Die Maske ist die österreichische Gemütlichkeit, aber dahinter toben die Abgründe. Im gewissen Sinne galt das auch für seine eigene Erscheinung. Seine kugelrunde Gestalt stand im krassen Widerspruch zu den Erfahrungen, die ich mit ihm als Mensch gemacht habe. Er war von allergrößter Zartheit und wenn er argumentierte, war er ein Intellektueller.
Dummsein und Gescheitsein ist nicht nur in den Travnicek-Dialogen ein wichtiges Thema. Auch der Herr Karl redet, weil er meint, alles besser zu wissen. Die Besserwisserei kristallisiert vielleicht in der kleinen Phrase: „Schaun Sie“. Wie kommt der Herr Karl dazu, alles besser wissen zu müssen?
In diesem Punkte ist der „Herr Karl“ auch ein Repräsentant des Österreichischen. Viele Österreicher sind viertelgebildet oder maximal halbgebildet. Aber wenn sie die Welt kommentieren, dann sehen sie sich trotzdem befähigt, aus ihrer partiellen Blödheit ein umfassendes Weltbild zu machen. Sie haben keine Ahnung, aber zu allem eine Meinung.
Sie haben einmal formuliert, Helmut Qualtinger sei von „jener österreichischen Liebe umarmt worden, welche Zuneigung vorgibt und Erstickung will“. Wie passiert das? Wie agiert diese Liebe?
Sie müssen sich das sehr praktisch vorstellen. Oft, wenn ich mit ihm im Gasthaus saß, kamen wildfremde Menschen an den Tisch, sagten „Servus Quasi“ zu ihm und klopften ihm auf die Schulter. Die Inhalte seiner Sätze haben sie nie bis an sich herangelassen, aber die Erscheinung Helmut Qualtinger haben sie liebend gerne mit ihren Armen umfangen. Ich habe oft gespürt, wie ihm diese Umarmung innerlich zur Verzweiflung trieb, meistens hat er diese Verzweiflung durch heftiges Trinken zu betäuben versucht.
Was hat sein Humor dem kollektiven Bewusstsein mitgeteilt?
Dass es letzten Endes kein Humor ist, den er uns geboten hat, sondern Verzweiflung, nackte Verzweiflung in der Maskerade des Humors.
Sie kannten Helmut Qualtinger gut und waren mit ihm befreundet. Können Sie etwas über den typischen Entstehungsprozess seiner Texte erzählen?
Viele Texte haben andere für ihn geschrieben oder er gemeinsam mit ihnen. Eine seiner Co-Autorinnen war seine Frau Leomare, auch eine außergewöhnlich talentierte Schreiberin. Qualtinger war unglaublich belesen, er hat sich beim Lesen Notizen gemacht und daraus sind seine eigenen Texte entstanden. Er hat also Anregungen gebraucht, hat Menschen beobachtet, sie mit einer Improvisation nachgespielt und daraus wurde dann ein Text. Der Schriftsteller und der Schauspieler waren gar nicht so leicht voneinander zu trennen.
Sie haben selbst eine Lesung von Qualtinger-Texten aufgenommen. Welche Erfahrung haben sie als Sprecher seiner Texte gemacht?
Als er viel zu früh starb, haben einige Freunde von ihm Lesungen aus seinen Texten gemacht. Es war ein Akt der Sehnsucht, des Rufens, wir wollten ihn dazu bringen, wieder aufzutauchen und seinen eigenen Tod als einen bösen Qualtinger-Scherz zu entlarven. Ich habe ihn kurz vor seinem Tod im Krankenhaus besucht und er sah so gesund aus und war voller Pläne, was er alles machen werde. Was Lesungen betrifft, waren jedoch diejenigen, die ich mit ihm machen durfte, die schönsten Erfahrungen. Ich habe sogar mit ihm eine Lesetournee durch Amerika, durch Universitäten gemacht. Seine unglaubliche Fähigkeit, im Bruchteil von Sekunden von einer Figur zur anderen zu springen, hat manchmal dazu geführt, dass ich vor Staunen vergessen habe, meinen Part zu lesen. Man hatte das Gefühl, dieses gigantische Figurenarsenal österreichischer Verkommenheit stecke in seinem Leib und könnte von ihm jederzeit abgerufen werden. Er hat uns diese Figuren zu unserem Gaudium und zu unserem Erschrecken vorgeführt, aber losgeworden ist er sie nie.