Die Sehnsucht nach einer menschlicheren Welt hat Miroslav Krleža, einer der bekanntesten kroatischen Dichter des vorigen Jahrhunderts, in seinem großen Drama „Christoph Kolumbus“ sprachgewaltig beschrieben. Hineingeboren in den Habsburgischen Vielvölkerstaat, stellt er in seinem großen Werk das friedliche Zusammenleben der Menschen über kapitalistische und materielle Werte.
Der kroatische Regisseur Rene Medvešek inszeniert die deutschsprachige Erstaufführung von Miroslav Krležas Stück „Christoph Kolumbus“ mit einem mehrsprachigen Ensemble aus Italien, Kroatien und Österreich als Koproduktion mit den Vereinigten Bühnen Bozen. In seiner hochmusikalischen und atmosphärisch dichten Inszenierung geht es um die Botschaft einer gemeinsamen europäischen Utopie. Hier beantwortet er einige Fragen zum Stück:
Worum geht es in „Christoph Kolumbus“?
Im Rahmen der altbekannten Geschichte über die Entdeckung Amerikasbearbeitet Miroslav Krleža, einer der größten kroatischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, das Thema der gesellschaftlichen Utopie und der (Un-)Möglichkeit ihrer Verwirklichung. Nach langem und erschöpfendem Sturm wollen die verzweifelten Matrosen auf der Santa Maria die Suche nach der Neuen Welt aufgeben – sie glauben nicht mehr an ein erfolgreiches Ende ihrer Meeresexpedition und wollen nach Hause zurückkehren. Der Kapitän Christopher Kolumbus schafft es mittels magischer Überzeugungskraft, die er seinem Glauben an die Neue Welt verdankt, seine Mannschaft noch einmal zu beruhigen und zur Weiterfahrt zu überreden. Gleichzeitig wird er sich der Tatsache bewusst, dass der einzige Antrieb seiner Leute Geldgier und Goldsucht ist. Mit solchen Motiven will er sich nicht zufrieden geben und seine Reise schließlich zu den Sternen, also in die Transzendenz fortsetzen.
Welche Themen interessieren Sie an diesem Stück?
Das Stück entstand 1917, während des Ersten Weltkriegs, also zu einer Zeit großer geopolitischer Wandlungen in ganz Europa. Die Kriegswirbelund die revolutionären Geschehnisse fingen an, geographische und gesellschaftliche Grenzen auf so extreme Art und Weise zu verändern, dass man nicht mehr ahnen konnte, was die Zukunft bringen wird. Mitten in diesem großen Gemetzel auf dem Weg in eine neue Welt schreibt Krleža als junger Autor ein Stück, in dem er sich mit den Grundthemen dieser Zeit auseinandersetzt: Idealismus versus Geldsucht, Massenpsychologie und Manipulation der Massen, Terror der Mehrheit, Angst vor Neuem, Rechtfertigung der Mittel, Ungerechtigkeit zwischen Reich und Arm, Verdammnis der Gewohnheiten, Mangel an Glauben, usw.
Was für eine Utopie formuliert das Stück?
Eine antikapitalistische Utopie. Nachdem Kolumbus die gierige und selbstsüchtige Natur seiner Mitreisenden durchschaut hat, entschließt er sich, konsequent seiner Vision zu folgen. Die Idee einer neuen Gesellschaft kann für Kolumbus nur losgelöst von Besitz und Materie erreicht werden, verankert im Geist und im Denken. Und so hebt er die Grenzen zwischen Politik und Poesie auf und will, statt an Land Anker zu setzen, seine Reise zu den Sternen, in die Sphäre des Geistes, weiterführen. Denn nur dort, in der Abstraktion, sieht er die Möglichkeit, neue Gesellschaftsverhältnisse aufzubauen.
Welche aktuellen Bezüge sehen Sie?
Das Bedürfnis nach einer besseren und gerechteren Welt gilt auch heute in Europa als das Grundmotiv für viele politische und gesellschaftliche Projekte. Europa ist ein großes Schiff, welches sich auf der Reise nach dem ungewissen Ziel eines besseren Zusammenlebens auf dem Kontinent befindet. Ich frage mich, inwiefern es möglich sein wird, das Ufer eines wirklich neuen Europas auch zu erreichen. Werden sich die Ideale dieser Reise verwirklichen lassen und erwartet uns am Ende eine „neue Welt“ oder landet die Fahrt bloß vor einer neuen Kulisse für die alten Machtspiele?