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Der Historiker Johannes Willms zählt zu den wenigen deutschsprachigen Autoren, die sich an eine Analyse der Französischen Revolution gewagt haben. Sein Buch „Tugend und Terror“ erzählt detailreich die Geschichte dieser großen Umbruchszeit und beleuchtet deren Akteure auf der politischen Bühne. Ein Gespräch über die Ursachen und die Bedeutung der „Mutter aller Revolutionen“.
Die Französische Revolution war eine Bewegung des Bürgertums im Namen des Volkes. Von wo ist die revolutionäre Kraft ausgegangen?
Die Revolution hatte eine Fülle von Ursachen. Von herausragender Bedeutung war die Finanzkrise. Die Monarchie taumelte einer Pleite entgegen, doch für die Bewilligung neuer Steuern musste der König eine Versammlung der Generalstände, also gewählte Vertreter der drei Stände Adel, Klerus und des Dritten Stands, einberufen. Die Versammlung trat im Mai 1789 in Versailles zusammen. Die Abgeordneten hatten ein imperatives Mandat, das durch die von ihnen mitgeführten Beschwerdehefte dokumentiert wurde, in das die Forderungen und Beschwerden der Wähler eingeflossen waren.
War das weniger gebildete Volk ausreichend politisiert, um eine Sprache für Kritik und Forderungen zu haben?
Die Beschwerden reflektierten zumeist lokale oder sehr spezifische Wünsche und Anregungen, die von den ortsansässigen Eliten, die die Wahlen organisierten und beaufsichtigten, formuliert und fassoniert wurden. Dieser Redaktionsprozess wiederholte sich jeweils, sobald die einzelnen lokalen Beschwerdehefte in einem Heft für jeden Wahlkreis zusammengefasst wurden. Dessen Inhalt beschrieb das imperative Mandat eines jeden Abgeordneten. Mit anderen Worten: Die ursprünglich zumeist naiven Forderungen der Wähler wurden unter diesem Redaktionsprozess umgeformt und zu politischen Forderungen geschärft, die den Erwartungen der Redakteure entsprachen, die häufig vom Gedankengut der Aufklärung durchdrungen waren.
Welche großen Forderungen waren in den Beschwerdeheften enthalten?
Beispielsweise waren in zahlreichen Beschwerdeheften des Dritten Stands bereits Forderungen nach Anerkennung der Menschen- und Bürgerrechte enthalten. Diese Forderungen erhielten umso mehr Gewicht, als die Krone zuvor bereits verfügt hatte, dass der Dritte Stand mit eben so vielen Abgeordneten auf den Generalständen vertreten sein sollte, wie die beiden anderen, die privilegierten Stände Klerus und Adel, zusammen. Zudem sind einige Abgeordnete dieser privilegierten Stände gleich zu Beginn der Versammlung zur Fraktion des Dritten Stands übergetreten. Aus diesem Übergewicht heraus proklamierte sich der Dritte Stand zur Nationalversammlung. Dieser kühne Schritt nötigte die Krone dann dazu, die Repräsentanten der anderen Stände aufzufordern, sich dem Dritten Stand anzuschließen. Die Abgeordneten berieten sich fortan nicht mehr in getrennten Versammlungen, sondern die gesamte Nation war in einer Versammlung vereint.
Das klingt aber noch nach politischer Tagesordnung. Warum ist die Revolution losgebrochen?
Das war schon mehr als eine Änderung der Geschäftsordnung; das war bereits eine Revolution, die im Saal stattfand. Um deren weitere Entwicklung zu vereiteln, entschloss sich die Krone dazu, die Versammlung gewaltsam zu beenden. Zu diesem Zweck ließ der König Truppen nach Versailles und dem nahe gelegenen Paris verlegen. Darin erkannte die Bevölkerung von Paris – mit rund 600000 Einwohnern schon damals die größte Stadt Frankreichs – zu Recht eine Bedrohung, auf die sie spontan reagierte und am 14. Juli 1789 die im Stadtgebiet gelegene Festung der Bastille stürmte. Das war der Anfang vom Ende der Monarchie, und Paris rettete damit die Nationalversammlung.
Was war die wichtigste Phase der Revolution?
Das Merkwürdige ist, dass die eigentliche Revolution 1789 bis 1790, also ganz am Anfang der bis 1799 fortdauernden revolutionären Epoche stattfand. In diesen Monaten wurden, um nur die wichtigsten Veränderungen zu nennen, die Verfassung und die Menschenrechte verabschiedet, das Feudalwesen und der Adel abgeschafft, Presse- und Meinungsfreiheit eingeführt sowie die gesellschaftliche Sonderrolle der Kirche beseitigt.
„Dantons Tod“ zeigt die Französische Revolution zu einem späteren Zeitpunkt, 1794. Die Revolutionäre regieren das Land mit einer Schreckensherrschaft. Die einstigen Ideale sind brüchig geworden. Der Konvent steht vor der Frage, ob der Kampf beendet werden soll oder weitergeführt werden muss. Welche Faktoren kamen zum Tragen?
Dass die Revolution trotz dieser so rasch erzielten Erfolge noch weiter ging, hing im Wesentlichen mit zwei Faktoren zusammen – die Krone wollte sich nicht mit den Entwicklungen abfinden und die Revolutionäre machten sich untereinander Konkurrenz. Damit sind wir bei Danton – Danton und Robespierre waren lange Zeit eng verbündet und haben die Terrorherrschaft errichtet. Als sich andere europäische Mächte verbündeten, um die Revolution von außen niederzuwerfen, konnte sich Frankreich nur durch eine große Anstrengung aller Kräfte zur Wehr setzen. Dieser Kampf machte diktatorischen Zwang notwendig, deshalb entstand das Terrorregime. Damit hatte man Erfolg, die Gefahr war schnell gebannt. Danton gehörte nun zur Gruppe jener, die vorschlugen, den Schrecken wieder zu mäßigen. Aber Robespierre erkannte in Danton einen Konkurrenten um die Macht und ließ ihm gestützt auf allerlei Vorwände und falsche Anschuldigungen den Prozess machen, unter dessen fragwürdigen Verlauf er zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Damit blieb Robespierre als die führende Figur der Revolution allein übrig, ehe er selbst einem Putsch zum Opfer fiel, was Danton mit seinem Satz „Die Revolution frisst ihre Kinder“ prognostiziert hatte. – Das ist ja häufig das Fatale bei Revolutionen: einem Radikalen macht ein anderer, der noch radikaler ist, Konkurrenz und erklärt jenen zum Feind der Revolution.
In dem Stück von Georg Büchner sind beide politischen Positionen nachvollziehbar: Dantons Forderung, mit dem Morden aufzuhören, sowie der Kampfgeist, der alle alten Strukturen durchbrechen und Platz schaffen will, um eine neue Gesellschaft aufzubauen.
In der Verfolgung seines Machtwillens hat Robespierre die Gefahren für Frankreich und die Errungenschaften der Revolution, auf die er sich immer wieder beruft, weit übertrieben. Aber das ist natürlich ein wunderbarer Stoff und Büchner hat das erkannt, denn das Stück besteht ja zum großen Teil aus Originalzitaten.
In diesen Reden wie im Stück zeigt sich auch deutlich, dass die Konstruktion einer neuen politischen Architektur, also das Ausverhandeln der Republik und ihrer Gesetze, ein unglaublich schwieriger und zäher Prozess ist.
Die Revolutionäre hatten kein Vorbild für das, was sie genau wollten oder zu tun hatten. Das war unbetretenes Gelände; sie hatten keine Vorbilder für ihr Handeln. Erst unter dem Vollzug der Revolution entwickelten sie ihre Vorstellungen, die sich angesichts der Schwierigkeiten, die sich ihnen dabei stellten, notwendigerweise immer mehr ausdifferenzierten und schließlich in unversöhnliche Gegnerschaften einmündeten. Der Gegensatz von Robespierre und Danton ist dafür exemplarisch.
Büchners Charakterzeichnungen von Danton und Robespierre entsprechen der historischen Rezeption. Für Robespierre ist Ordnung die Basis von Freiheit, Danton leitet Freiheit aus seiner Betrachtung des Menschseins und des Menschlichen her.
Robespierre galt als der Tugendhafte. Danton hat ihn schwer beleidigt, als er meinte, dass er selbst die Tugend jede Nacht mit seiner Frau übe. Das wurde zu einem der Hauptanklagepunkte im Prozess gegen Danton. Robespierre fragte, wie ein Mann, dem jegliche Idee von Moral fremd ist, der Verteidiger der Freiheit sein könne. Damit hat er ihn ans Messer geliefert.
Was ist diese Tugend, von der auch in „Dantons Tod“ so häufig gesprochen wird?
Die Tugend, wie sie Robespierre verstand, formuliert eine Ideologie, die das kompromisslose Wohlergehen der Republik als Bezugsgröße hat. Tugend bedeutet demnach, sich für den Staat, das Gemeinwesen zu opfern, seine eigenen Interessen und Wünsche denen der Allgemeinheit unterzuordnen.
Robespierre argumentiert dabei mit der Macht des Volks. Wie stark war das mittellose Volk?
Das Volk war immer eine Drohung, zumal in einer Stadt von der Größe von Paris. Die meisten der Einwohner waren Handwerker, Arbeiter oder Tagelöhner, die besonders unter den hohen Preisen für Lebensmittel litten und stets eine sehr prekäre Existenz fristeten. Nach anfänglichen Erfolgen wie dem Sturm auf die Bastille oder dem Zug der Marktweiber nach Versailles, mit dem dieser „peuple“ die königliche Familie aus der Residenz von Versailles nach Paris holte, stellte er einen sehr selbstbewussten Machtfaktor dar. Die „Revolutionspartei“ der Jakobiner, deren informeller Chef Robespierre war, haben sich mit diesen Pariser Massen verbündet, ihnen immer wieder Versprechungen gemacht, ihr Los zu verbessern. Massen von Armen waren immer ein Druckmittel im politischen Kampf.
Welche Medien hatte die Öffentlichkeit?
Eine der Errungenschaften der Französischen Revolution ist ja die Pressefreiheit. Dementsprechend gab es eine große Öffentlichkeit und viele Zeitungen, die auf die öffentliche Meinung Einfluss nahmen. Da gab es in der Presse einen beispiellosen Meinungskampf, der mit, wie man heute sagt, „fake news“ und groben Beleidigungen und Unterstellungen ausgetragen wurde.
Waren es eher die einzelnen Protagonisten oder die verschiedenen revolutionären Fraktionen, Splittergruppen und Volksgruppen, die den Gang der Revolution prägten?
Es waren im Wesentlichen einzelne Personen, die mit ihrer Reaktion auf das jeweilige Geschehen die Dynamik der Revolution beeinflussten. Die Französische Revolution war auch die große Chance für viele, Karriere zu machen. Es gibt ein Zitat von Danton, in dem er sagt: „Der Ancien Regime ließ uns keine andere Wahl, in dem er uns eine gute Ausbildung zukommen ließ, ohne unseren Talenten eine angemessene Beschäftigung zu verschaffen.“ Wenn man so will, hat man in diesem Satz eine Anknüpfung an heutige Zustände. Danton wie Robespierre waren Provinzadvokaten, die erst mit und durch die Revolution zu Bedeutung und Macht gelangten Weil es um Karrierechancen ging, die sich mit den revolutionären Umbrüchen mit einem Mal anboten, spielte erbitterte Konkurrenz, die mittels politischen Taktierens ausgetragen wurde, eine so große Rolle.
Das entspricht dem Gedanken unserer Inszenierung, das Stück als Rollenspiel zu begreifen, in dem Positionen gewechselt werden können, aber immer das Publikum überzeugt werden muss, wie die Abgeordneten im Konvent.
Dieser Machtkampf führte zur Radikalisierung der Revolution und zu der extremen Gewalt. Das ist die Dynamik der Revolution. Einer beginnt, ein anderer reagiert darauf und schon ist man mitten im unberechenbaren Bürgerkrieg. Wie schnell eine solche Dynamik einsetzen kann, zeigen etwa die Ereignisse rund um das G20-Treffen in Hamburg.
Was zeichnet die Französische Revolution vor allen anderen aus?
Die Französische Revolution war sozusagen die Mutter aller Revolutionen. Vor der Revolution gab es Ereignisse, Umbrüche, die auch als Revolution bezeichnet wurden, aber die im alten Sinne des Wortes als ein Kreislauf. als eine Rückkehr zu frühren Zuständen verstanden werden müssen. Man sprach zum Beispiel in der Astronomie von der Revolution der Gestirne, um deren elliptischen Bahnverlauf zu charakterisieren. Die Französische Revolution hingegen war ein völliger Umsturz, ein grundlegender Umbruch aller bisherigen Gewissheiten: Die Monarchie wurde abgeschafft, die Republik ausgerufen und die Freiheit und Gleichheit aller Menschen verkündet. Das hatte es zuvor noch nie gegeben. Mit der Französischen Revolution wurde man nicht Zeuge der Rückkehr zu einem älteren Zustand, sondern der Heraufführung einer völlig neuen Ordnung. Allen späteren Revolutionen, wie etwa der Oktoberrevolution in Russland, diente die Französische Revolution in vieler Hinsicht als Vorbild. Die Bolschewiki haben sich das genau angeschaut, wie der Umsturz in Frankreich vonstatten ging, was sie vermeiden sollten und wo sie entschlossener vorgehen mussten.
Die Französischen Revolution war Erfolg mit Verzögerung. Direkt danach war wieder ein starker Mann an der Spitze, der sich zum Kaiser krönte.
Napoleon hat die Revolution beendet und manches, was die Revolution in Gang gebracht hat, wieder rückgängig gemacht. Er hat zum Beispiel den Einfluss der Kirche erneut gestärkt, die Ehescheidung abgeschafft, die Sklaverei wieder eingeführt, gewissermaßen ein modernisiertes Ancien Regime errichtet. Dem würde jedoch keine Dauer beschieden sein, wie sich Napoleon bewusst war, als er nach der Niederlage in der „Völkerschlacht“ von Leipzig 1813 einem Vertrauten gegenüber bemerkte: „Nach mir werden die Revolution oder vielmehr die Ideen, die sie beherrschten, mit neuer Kraft ihr Werk wiederaufnehmen. Diese Doktrinen, die man die Prinzipien von 1789 nennt, werden für immer eine bedrohliche Waffe in den Händen der Unzufriedenen, der Ehrgeizigen und der Ideologen aller Zeiten sein.“ Diese Prophezeiung hat sich erfüllt. Ob die Revolution also ein Erfolg war? Als der amerikanische Außenminister Henry Kissinger den chinesischen Premierminister Zhou Enlai 1972 nach seiner Einschätzung der Französischen Revolution fragte, beschied ihn der damit, dass es noch zu früh sei, darauf eine Antwort zu geben.
Das Gespräch führte Landestheater-Dramaturgin Julia Engelmayer.