vom schreibkammerflimmern
Rede von Ferdinand Schmalz zur Eröffnung des Stücke-Fests 2017
wir sateliten. theaternahe trabanten. umkreisen das theater, nähern uns immer wieder dem theater gefährlich an. kollidieren manchmal vielleicht mit diesem planeten, in den zu diesem zweck eingerichteten theaterkantinen. um uns dann wieder in den orbit unsrer umlaufbahnen zurückzuziehen. in die weiten unserer schreibkammern. und obwohl es ein klischee ist, ein romantisches relikt, der hölderlin turm, in dem die einsame dichterin, der einsame dichter weltverlassen haust, steht nirgends nicht, bleibt doch da ein gefühl, dass egal wie nah man dem theater kommt, dass selbst wenn schreibender und aufführender in eine person fallen würden, dass da immer noch eine kosmische distanz wäre, aber dass diese distanz, die sich oft gerade in einer scheinbaren nähe auftut, dass diese distanz für das theatertexteschreiben konstitutiv ist. und so sitzt man am schreibtisch, oder im kaffeehaus, oder im verlassenen kinderabteil eines intercityzuges, oder in einer einsiedlerhütte, oder einer dorfdiskothekentoilette, oder im verstaubtesten winkel des verstaubtesten literaturarchivflügels, wo auch immer man sich verkriecht um zu schreiben und denkt diese kosmische distanz mit. denkt: wir sateliten, die eine welt im schlepptau ziehen. (keine hinkende metapher, zumindest nicht aus sicht der autorinnen und autoren)
fürs theater schreiben heißt also sich immer der möglichkeiten des theaters bewusst zu sein, sich aber gleichzeitig auch seiner eigenen außenposition klar zu werden. von hier aus lässt sich etwas von draußen ins theater hineintragen, lassen sich neue stoffe, lässt sich eine eigene sprache, lassen sich figuren, die noch nicht die bühne betreten haben, lässt sich noch ungedachtes in diese gut ummauerten räume eines gemeinsamen denkens hineintragen, die wir theater nennen. und so versucht man zwischen den zeilen offenheiten zu schaffen, produktive mehrdeutigkeiten, an denen die theater andocken können, an denen begonnen werden kann zu probieren, an denen während der proben sich eine eigene auslegung abarbeiten kann, um dann auf der leseprobe einem nervösen schauspieler gegenüber zu sitzen, der einen ansieht als würde man wirklich von einem anderen planeten kommen, um dann endlich zu fragen: „wie meinst du das hier, so oder so?“ der das dann aber gar nicht lustig findet, wenn man ihm sagt, dass man es wirklich „so oder so“ meint. drauf er: „ich verstehe. lustig, aber jetzt im ernst, so oder so?“ drauf ich: „im ernst, so oder so“, gerade weil ein theatertext ja nicht einfältig eindeutig wie die gebrauchsanweisung für ein multifunktionsküchengerät ist. (wieder so eine hinkende metapher, so eindeutig sind die nämlich gar nicht.)
die vier texte die hier heute aufs theater prallen, tragen auch ihre eigene welt mit sich, wie in dem stück „der kalif wird uns die stirn küssen“ von muhammet ali bas, das uns in eine pulpfiktive unterwelt mitnimmt, in der sich überzeichnete knallchargen auf den weg in den jihad begeben. doch die heilsversprechen der terrorideologie entpuppen sich im durchlauferhitzer der gangsterkomödie als groteske trugbilder.
oder in anah filous stück „leises kerosin und befundstück“ in dem sich drei frauen in einer karaoke bar, bewusst werden, dass es hinter den grenzen ihrer hundespielplätze noch die hundeleinenlose freiheit der wälder gibt, in denen ein bewusstsein von wolf lauert. aber auch dieses stereotyp wird von filous gnadenloser sprache zerhackt, zerstückelt.
in thomas perles „caroline feiert geburtstag. vergisst das sterben nicht“ entfaltet ein mosaik aus auslassungen das bild eines größeren verlusts. das leben geht weiter, aber unter der haut einer partystimmung wartet eine unüberwundene, eine wunde leere. der gespielte alltag als ein spiel am abgrund einer verlorenen liebe.
und katerina cerná führt uns mit „glück“ in einen sprachlichen mikrokosmos, in dem silben wie fluten übers papier brechenchenchenchenchenchenchenchenchenchenchen. so dass durch diese überbetonungen und wiederholungen selbst verniedlichungsendungen etwas düster bedrohliches bekommen können. unsere sprache besitzt eine agressive gewalt der verniedlichung, die beispielsweise der „flücht-ling“ nur zu gut kennt.
alle vier nominierten stücke bringen ihre eigenen herausforderungen mit, ihre produktiven hindernisse, die den theaterbetrieb im positiven sinne ins stocken bringen sollen und die die suche nach neuen theatralen mitteln, nach neuen sprechweisen, nach neuen denkwegen anregen. man darf also auf die szenischen skizzen, die sprechversuchsanordnungen, die gedankenexperimente heute abend gespannt sein.
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